Fred und Lili

Franziska Hochwald

 

Fred und Lili und das Müllmonster

 

„Friedrich, Müll raustragen!“ Das ist meine Oma Anneliese, und wenn sie so betont fröhlich ruft, weiß ich, dass es langsam eng wird. Aber wenigstens ein Kapitel von „Rudi Renner und das Rätsel der Rüsselratten“ muss ich noch zu Ende lesen. Außerdem finde ich, dass man Minderjährige nach dem Abendessen nicht mehr zu Hausarbeit zwingen sollte. Es wird höchste Zeit, dass Papa und Mama wieder von ihrem Wohlfühl-Wochenende zurückkommen.

„Friedrich-Balthasar, der Mühüll“ Jetzt singt Oma Anneliese in höchsten Operntönen. Pah! Soll sie ihren Müll doch selber raustragen. Oder zur Abwechslung mal meine Zwillingsschwester Lili einspannen, warum muss die sich nie anstrengen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie Lili gerade in ihrem Zimmer sitzt und sich extrem entspannt zurücklehnt. Ich höre, wie Oma Anneliese den Mülleimer ins Treppenhaus stellt, wahrscheinlich direkt in den Weg, damit alle aus der Familie sich über mich aufregen können. Sollen sie doch. Ich lese noch ein Kapitel, in dem Rudi gerade von Reg der Rüsselratte in einer extrem gefährlichen Hetzjagd verfolgt wird.

Eine Viertelstunde später höre ich, wie Oma Anneliese die Wohnungstür aufmacht, und dann einen Schrei, der mir „das Blut in den Adern gefrieren lässt“ – so wie Rudi, der voll überm Abgrund hängt und über ihm auf der Klippe thront Reg und bläst seinen schlechten Atem auf ihn runter.

Meine Zimmertür fliegt auf, und Oma Anneliese erscheint in Rächerpose im Türrahmen. Dann stürmt sie auf mich zu, packt mich unsanft am Arm und zerrt mich vor die Wohnungstür.

„Was hast du dir dabei gedacht!“ Das ist keine Frage, das ist eine Drohung. Und da sehe ich es: Der gesamte Müll ist über das Treppenhaus verstreut – Milchtüten, leere Joghurtbecher, nasse Teebeutel, ein altes Brötchen, aufgerissene Plastiktüten und darüber eine Wolke von Fruchtfliegen. Offensichtlich hat Oma Anneliese das mit der Mülltrennung nicht so richtig drauf. Der faulige Mundgeruch von Reg der Rüsselratte ist nichts gegen den Gestank, der mir entgegenschlägt. Ich muss würgen. Damit bin ich nicht allein. Unsere fette graue Katze Hermine umkreist die Bescherung – sichtlich angeekelt, steifbuckelig und mit empörtem Fauchen.

 

 

 

„Wenn du glaubst, du kannst dich so aufführen, wirst du dein blaues Wunder erleben.“ Oma Anneliese schnaubt vor Wut.

Hinter der ganzen Sauerei steckt bestimmt Lili. Sie liebt es, wenn ich ich Schwierigkeiten bin, und manchmal hilft sie auch noch ein bisschen nach. Sie setzt dann ihr bösartiges, höhnisches Grinsen auf und hat sich da schon so manches geleistet. Aber den Mülleimer umkippen – das geht zu weit.

 

Wenn Oma Anneliese sich aufregt, wird es fürchterlich anstrengend, und zwar tagelang. Ich entschließe mich also, den Müll schweigend wieder aufzusammeln, und während Lili mit überkreuzten Armen neben mir steht und sich bestens amüsiert, sinne ich auf Rache. Als aller Dreck wieder im Mülleimer ist, peile ich zielstrebig das Badezimmer an, um mir die Hände zu waschen. Dabei kommt mir eine Idee: Lilis Sammlung an Döschen, Cremes und Parfümpröbchen packe ich zusammen in ein Handtuch und mache mich dann auf die Suche nach einem guten Versteck. Doch vor der Badezimmertür schiebt sich mir Oma Anneliese in den Weg, mit Eimer und Putzzeug.

„Aufwischen“, sagt sie, und ihre Opernstimme ist einem Flüstern gewichen, das nichts Gutes verheißt. „Aufwischen, die ganze Treppe bis zur Haustür.“ Schnell schiebe ich meine Beute unter die Kommode im Flur und übernehme den Wischmopp. Oma Anneliese dreht sich um und verschwindet im Wohnzimmer. Ich höre, wie sie den alten Plattenspieler anschaltet und eine Oper auflegt, ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass sie für heute genug von uns hat und sich für den Rest des Abends nicht mehr blicken lassen wird.

 

Lustlos fange ich an, den Mopp auf dem Boden vor unserer Tür hin und her zu schieben. Das Leben ist einfach extrem ungerecht, aber es bringt nichts, sich an den falschen Stellen dagegen zu wehren. Als Reg sich mit seinem Stinkeatem zu Rudi hinunterbeugt, kann der sich gerade noch rechtzeitig zur Nachbarklippe hinüberhangeln. Doch hier im Treppenhaus gibt es keinen Ausweg. Zu allem Übel steht nun auch noch Lili neben mir. Wenn sie glaubt, sich jetzt über meinen jämmerlichen Zustand lustig machen zu können, hat sie sich geschnitten. Wie zufällig hebe ich den Wischmopp hoch und drehe mich um. Es ist ein sehr befriedigender Anblick, wie ihr die grauen, triefenden Fäden voll ins Gesicht klatschen. Doch Lili hat eine gute Reaktionsfähigkeit, das muss man ihr lassen. Das eklige Ding trifft sie zwar voll auf die Backe, doch als sie es mit einer blitzschnellen Bewegung wegschlägt, kommt es in hohem Bogen zurück. Jetzt haben wir beide eine interessante Mischung aus Wasser, Obstschalen und alten Nudeln im Gesicht kleben.

„Bist du wahnsinnig?“ Lili packt mich an der Schulter. „Du verwischst doch alle Spuren!“

„Wie, Spuren“, stottere ich und finde, dass ich mich extrem blöde anhöre. Lili schüttelt nur den Kopf. „Und so was will Detektiv sein. Hermine hat gleich gemerkt, dass hier etwas faul ist.

Es kostet mich eine Menge Überwindung, aber dann muss ich zugeben, dass ein Detail, das ich bisher außen vor lassen wollte, durchaus für Lili spricht. Und für ihren Verdacht, dass hier ein waschechter Kriminalfall vorliegt und nicht bloß eine gemeine Sauerei. Es ist nämlich so: Lili kann es gar nicht gewesen sein, weil ihre Zimmertür quietscht, und, deshalb bin ich sicher, dass sie die ganze Zeit zu war. Und unsere fette Katze hat sich wirklich für ihre Verhältnisse sehr aufgeregt. Schade nur, dass ich kein Kätzisch spreche und diese Zeugin nicht befragen kann.

Ich hole meinen Detektivkoffer und beginne mit der Spurensicherung. Als Versöhnungs-Angebot reiche ich Lili die Lupe und mache mich dann daran, mit Talkum und Pinsel nach Fingerabdrücken zu suchen.

Lili ist schneller als ich. Mit der Lupe vor dem Gesicht kriecht sie auf allen Vieren die Treppe zur Haustür hinunter. Plötzlich bleibt sie stehen.

„Da, in dem Ketchup. Das sind Pfotenspuren, eindeutig“, stellt sie fest. „Hermines Pfoten sind es auf keinen Fall.“

Ich trete neben sie und übernehme die kriminaltechnische Untersuchung. „Ganz schön groß, die Tatzen von dem Tier.“

„Pfoten“, korrigiert Lili.

„Das ist mindestens ein Schäferhund. Oder ein Bernhardiner.“

„Das ist schon eher ein Dackel.“

Wir schauen uns an: „Herr Schober und Waldi!“, sagen wir gleichzeitig. Nur Herr Schober hat ein Tier, das zu allem fähig ist, und ein alter Widerling ist er noch dazu.

Ich hole meine Kamera und fotografiere die Fährte ab. Herr Schober wohnt über uns im zweiten Stock. Wir schleichen hoch und drücken uns an die Wohnungstür, um zu lauschen. Nichts. Wenn Herr Schober zu Hause ist, hat er immer das Radio laufen.

„Bingo“, sage ich und gebe Lili High Five. „Der Waldi hat sich auf dem Weg zum Gassi gehen über unseren Müll hergemacht. Das passt zu dem alten Dackel.“

Lili kratzt sich an der Nase. „Aber wie können wir ihn überführen?“

„Kein Problem“, sage ich und grinse so überheblich ich kann. „Wir stellen ihm eine Falle. Das Denken muss wohl ich übernehmen in unserem Team“.

Lili verdreht die Augen. Ich gehe in die Küche, um den frisch geleerten Mülleimer zu holen. Dann kommt der extrem unangenehme Teil der Falle: Wir brauchen Abfälle. Und die müssen wir nun leider wieder unten aus den Mülltonnen fischen. Lili grinst: „Deine Idee, deine Aufgabe“, und schaut mir interessiert zu, wie ich mit Küchenhandschuhen bewaffnet in der Mülltonne wühle.

 

Es dauert eine ganze Zeit, bis ich Omas Überwachungskamera mit Nachtsichtfunktion über der Haustür abgebaut und über der Wohnungstür installiert habe, doch es klappt. Man hat einen traumhaften Blick auf den Mülleimer. Wir liegen auf meinem Bett und schauen auf den Monitor. Kurz darauf öffnet sich die Haustür, und tatsächlich, Herr Schober und sein altersschwacher Rauhaardackel erscheinen im Sichtfeld. Wir beobachten, wie Herr Schober den Dackel im Treppenhaus auf den Arm nimmt und achtlos an der Müllfalle vorbei in den zweiten Stock trägt.

„Das ist verdächtig“, sagt Lili. „Der trägt ihn bestimmt nur hoch, damit er sich nicht noch einmal über unseren Müll hermacht.“

Ich springe auf. „Zeit für eine Vernehmung“, sage ich mit fester Stimme. Doch als wir vor Schobers Türe stehen, ist es Lili, die den Klingelknopf drückt.

Lange passiert gar nichts, doch mit einem Mal öffnet sich die Tür einen Spalt breit, und hinter dem Kettenschloss erscheint das Gesicht vom alten Schober. „Wo waren Sie zwischen 19 und 20 Uhr heute Abend?“, frage ich mit Todesmut, „und dürfen wir mal die Pfoten von Ihrem Dackel anschauen? Das ist eine Ermittlung.“

 

Der alte Schober knallt die Tür wieder zu. Dann hören wir, wie er das Kettenschloss entriegelt und die Tür ganz aufgeht. Waldi ist zwar altersschwach, doch genauso missgelaunt wie sein Herrchen. Er kläfft, knurrt und schnappt nach meinen Hosenbeinen.

„So, so, ihr Früchtchen“, sagt Herr Schober und knurrt ebenfalls dabei. „Eine Ermittlung also. Dann kommt mal rein. Und übrigens, Friedrich-Balthasar, du hast da Teeblätter im Gesicht kleben.“

 

Wir stehen in einem düsteren Flur. Der alte Schober nimmt Waldi auf den Arm, der mit den Vorderbeinen rudert wie beim Wettkampfkraulen. Der Dackel ist das einzige Tier, dessen Herz hier noch schlägt, und ich verstehe plötzlich, wieso er zu allem fähig ist. Von den Wänden funkeln uns Glasaugen an, von Füchsen, Hasen, Wildschweinköpfen. Und daneben hängt ein Gewehr. Die Jagdsaison ist eröffnet! Ohne mich. Diese Mission ist vielleicht doch zu gefährlich. Keiner weiß, dass wir hier drin sind. Kurzerhand drehe ich mich zur Tür und will noch rufen: „Alles klar, bis ein andermal“ oder irgendetwas Unverfängliches, aber da stellt sich mir der Alte in den Weg. „Erst dicke Backen machen und dann kneifen“, sagt er mit beunruhigend tonloser Stimme, „das läuft bei mir nicht.“

Er schiebt uns ins Wohnzimmer und lässt uns mit Waldi allein. Auch hier: Jede Menge tote, ausgestopfte Tiere, Felle, Waffen. Der Dackel legt sich erschöpft auf den Teppich und schläft auf der Stelle ein. Ich versuche, das Fenster zu öffnen, denn ein Detektiv sollte immer erst die Fluchtwege prüfen. Doch der Griff ist abgeschlossen. Wieso bloß habe ich mein Pfefferspray unten im Detektivkoffer gelassen?

 

Die Minuten dehnen sich wie eine Ewigkeit. Dann kommt der alte Schober ins Zimmer, vor sich ein Tablett mit zwei Tassen Kakao. Da ist sicher ein Schlafmittel drin, bestimmt dasselbe, das er auch Waldi verabreicht hat. Oder gleich Gift? Ich sehe mich schon in einen Teppich gerollt im Keller verrotten. Doch Lili lächelt, sagt artig „Danke“ und schüttet den heißen Kakao in sich hinein. Keine erkennbaren Anzeichen innerer Verbrennungen …

Der alte Schober grinst mich an. Ich fang gleich an zu heulen, glaube ich, und ich bekomme keinen Ton heraus.

Lili erklärt ihm den Stand unserer Ermittlungen und wirkt dabei völlig locker. Sie scheint immer noch keinerlei Bauchgrimmen zu haben, und weil mir ganz schlecht ist vor Aufregung, trinke ich den Kakao jetzt doch. Dabei stelle ich mir Rudi vor, wie er mit Siegermiene über Reg der Rüsselratte steht, die gefesselt am Boden liegt – oder geht es andersrum aus? In jedem Fall gibt es aber bis dahin noch das Müll-Rätsel zu lösen, und wenn ich das hier überstanden habe, werde ich noch mindestens ein Kapitel lesen.

„Zeig doch mal das Beweisfoto.“ Lili schubst mich und reißt mich aus meinen Gedanken. Der alte Schober beugt sich über das Display meiner Kamera und wirkt nun wirklich interessiert. „Das sollen Dackelpfoten sein? Dass ich nicht lache!“

„Aber was denn dann?“, frage ich und vergesse meine Angst. Ich beuge mich über den schnarchenden Dackel und gleiche seine Pfote mit den Aufnahmen ab.

„Tja, ich war mein ganzes Leben Jäger, und ich kann euch sagen, solche Spuren hat kein heimisches Tier. Schaut euch doch mal die Krallen an.“

Tatsächlich, vor den Joghurt- und Ketchup-Tapsern sind verwischte Spuren, die auf lange Krallen hindeuten.

„Was auch immer es ist, sagt Bescheid, wenn ihr es raushabt.“ Der alte Schober steht auf.

Ich kneife die Augen zusammen. Damit er das Tier töten, ausstopfen und an die Wand nageln kann, vermute ich. Aber das sage ich natürlich nicht. Ich bin ja höflich.

„Mir reicht‘s für heute“, sage ich zu Lili, als wir wieder in unserer Wohnung angekommen sind.

Aber meine Zwillingsschwester ist nicht zu bremsen. „Jetzt geht es doch erst richtig los“, ruft sie und wirft sich auf mein Bett. „Ab sofort ist Überwachung angesagt. Wir stellen den Müll genau vor die Wohnungstüre. Die lassen wir dann angelehnt, damit wir nachher schnell den Täter schnappen können, und den Rest macht die Kamera, oder?“

Seufzend lege ich mich neben sie und schaue auf den Bildschirm. Kurz darauf höre ich tiefe Atemzüge neben mir, Lili ist eingeschlafen. Sie schnarcht mindestens so laut wie Waldi – aber wenn ein Schlafmittel im Kakao war, bei mir wirkt es jedenfalls nicht.

 

Ich muss wohl doch kurz eingenickt sein, denn plötzlich werde ich durch sehr seltsame Geräusche geweckt. Ein eigenartiges Grunzen und Brummen ertönt direkt vor unserer Wohnungstür, dann wieder ein Quietschen und Fiepen, und kurz darauf ein bestialisches Fauchen und Knurren. Eigentlich weiß ich ja, dass es keine Monster gibt. Aber diese seltsamen Laute – ich kann nicht anders, ich muss mir ein pelziges fieses Zombie-Untier mit roten Augen und grünem Sabber vorstellen, das unser Treppenhaus verwüstet. Dann fällt mir ein: Unsere Wohnungstür ist ja nur angelehnt. Ich fühle, wie Panik in mir aufsteigt und packe Lili an der Schulter. „Wach auf“, flüsterte ich“, „da ist irgendwas! O Mann. Das ist Reg, die Rüsselratte!“

Gleich wird er mir seinen Stinkeatem wie eine Wolke ins Gesicht blasen, und dann werde ich ohnmächtig. Lili dreht sich verschlafen zu mir um. Sie hat wirklich keine Ahnung. Und von Oma ist sowieso keine Rettung zu erwarten – die schwebt im siebten Himmel und pfeift sich im Schafzimmer ihre Oper rein.

 

Es dauert eine Weile, bis ich den Mut habe, dem Monster ins Auge zu blicken – zumindest durch die Kamera. Zuerst sehe ich nur einen Schatten, der wild mit Müll um sich wirft. In der Dunkelheit scheint es mir, als hätte dieser Schatten kleine Hände wie ein Mensch. Oder ein Kobold. Und dann sehe ich sein Gesicht. Es ist ein Dieb, das kann man deutlich sehen, denn er trägt eine schwarze Maske.

Aber so einen niedlichen Dieb habe ich noch nie gesehen! Große dreieckige Ohren, eine zierliche Schnauze, einen gestreiften Schwanz und Vorderpfoten mit langen Krallen, in denen er geschickt einen Joghurtbecher hält, um ihn auszulecken – es ist ein Waschbär! Ich rüttle Lili so lange, bis sie wach genug ist, um ihn auch anzusehen. „Ist der süüüß!“ kreischt sie. Sofort macht der Waschbär kehrt, watschelt die Treppe hinunter und wir hören ihn durch Hermines Katzenklappe verschwinden.

„Tja“, meint Lili trocken, „die Katzenklappe ist das Problem, eindeutig. Da wird Hermine wohl in Zukunft warten müssen, bis wir ihr die Haustür aufmachen. Sonst haben wir einen wilden neuen Mitbewohner.“

„Die liegt eh am liebsten faul auf dem Sofa“, entgegne ich, „das wird ihr nur recht sein.“ Dann denke ich wieder an unseren Nachbarn von oben. Und daran, dass er vielleicht nett ist. Aber einen beunruhigenden Hang zum Tiere erlegen hat.

„Sollen wir das Herrn Schober erzählen?“, überlege ich laut.

„Ja, vielleicht, aber erst mal schlafen“, gibt Lili zurück und macht es sich wieder in meinem Bett bequem. Und ich werde morgen wieder Oma Annelieses Opernstimme zu hören bekommen. Oder ihren Action-Film-Schrei. Und ich werde wieder mit Wischmopp und Eimer vor der Türe stehen, aber dieses Mal wenigstens zu Recht.

 

 

 

Fred und Lili und der Gruselkeller

 

Die Straßenlaterne scheint in mein Zimmer, der Rollladen ist kaputt, im Nebenzimmer zersägt Oma Anneliese die gesamte Schrankwand – so hört es sich zumindest an – und wer kann da schon schlafen. Ich jedenfalls nicht. Vor allem wo „Rudi Renner und die wandernden Schatten“ so was von spannend ist, dass ich einfach weiterlesen muss. Gerade hört Rudi ein tiefes Grollen, und dann erscheint vor dem Fenster von seinem Hotelzimmer ein dunkler, schemenhafter Umriss – so ähnlich, wie hier bei uns am Haus gegenüber. Ich lese weiter. Doch nicht lange, denn dieser echte Schatten da drüben lässt mir keine Ruhe. Und das Grollen – wenn ich es genau überlege, habe ich es gerade eben auch bei uns auf der Straße gehört. Nun ist Rudi Renner einer der größten Ermittler aller Zeiten, soviel steht mal fest. Und ich bin immerhin auch schon im einen oder anderen kniffligen Fall erfolgreich gewesen. Aber das jetzt ist doch ein bisschen gruselig. Fast wünsche ich mir, dass unsere Eltern jetzt zu Hause wären, auch wenn es eigentlich immer ziemlich lustig ist, wenn Oma Anneliese kommt. Ob ich meine Zwillingsschwester Lili wecken soll? Lieber nicht, ihr hämisches Grinsen kann ich mir schon besser vorstellen als mir lieb ist: „Na Fred, mal wieder im Panikmodus?“ oder so etwas Fieses würde sie von sich geben, dann würde sie sich im Bett herumdrehen, wohlig seufzen und weiterschlafen.

Ich gehe in den Flur und überprüfe die Wohnungstür – alles gut gesichert. Jetzt hilft alles nichts, ich muss diesem mysteriösen Schatten erst einmal alleine nachgehen. Die Gardine in meinem Zimmer gibt mir Deckung, und ich erkenne im Licht der Straßenbeleuchtung einen langhaarigen Mann in Jeans und Lederjacke, der sich an der Kellertür des Nachbarhauses zu schaffen macht. Er scheint einen schweren Kasten oder so etwas zu tragen – vielleicht ist das ja ein Schweißbrenner, mit dem er den Tresor der Nachbarn knacken will? Dabei wäre mir neu, dass die Hubers wirklich Schätze versteckt haben, sie fahren einen alten, klapprigen VW Golf und sehen auch sonst nicht gerade wohlhabend aus. Aber man weiß ja nie.

Was soll’s, diesen Fall werde ich heute Nacht nicht mehr lösen, denke ich mir und will mich gerade von meinem Beobachtungsposten zurückziehen, als ich sehe, wie dieser seltsame Kerl seine Kiste fallen lässt. Da purzelt so einiges auf die Straße; ich kann nicht erkennen, was es sein könnte, das er da so hastig wieder aufsammelt. Aber ein Schweißbrenner ist es wahrscheinlich nicht, eher viele kleine Sachen.

Ich beschließe, mich in meinem Bett zu verkriechen. Steif wie ein Stock liege ich unter der Decke und kriege kein Auge zu. Wenn es gar kein Mensch war, den ich da gesehen habe? Vielleicht ist es ja jemand, der nur nachts ins Freie kann, ein Vampir oder so ein Zombie wie in Lilis Lieblingsspiel auf dem Tablet? Ich atme tief durch, genau wie Rudi es tun würde, und versuche mich zu beruhigen. Aber der Rest der Nacht ist wirklich nicht gerade erholsam, und ich falle erst in einen unruhigen Schlaf, als es schon dämmert.

Was mir am Morgen auf die Beine hilft, ist ein ausgiebiges Müsli-Frühstück, auch wenn es von Oma Annelieses penetranten Schulratschlägen begleitet wird. Sie war mal Lehrerin, und nur so kann ich mir erklären, dass sie uns jeden Morgen eine Predigt hält, über den Wert von Disziplin, und dass wir uns glücklich schätzen können über das wunderbare Schulsystem in Deutschland und so weiter. Lili und ich schauen und schweigend an.Vor Grinsen läuft uns fast die Milch aus den Mundwinkeln, und wir beugen uns noch tiefer über unsere Frühstücksschüsseln, damit Oma Anneliese nichts bemerkt.

Die ersten Meter auf dem Schulweg streicht uns Hermine um die Beine und begleitet uns ein Stück, bevor sie ihren Katzenstreifzug antritt. Wir überqueren die Straße, und plötzlich dreht Hermine abrupt ab und steuert auf das Nachbarhaus zu. Das macht sie sonst nie, doch nun schnuppert sie dort hoch konzentriert herum und kratzt mit ihrer Pfote auf dem Asphalt herum – genau an der Stelle, wo der Typ gestern Nacht seine Kiste ausgekippt hat.

Licht der Morgensonne sieht der Kellereingang immer noch gruselig aus – grau, vergammelt und irgendwie unheilvoll. Doch bevor ich mir einen Fall durch die Lappen gehen lasse, überwinde ich meine Angst und gehe Hermine hinterher. Lili verdreht die Augen: „Bruderherz, mal wieder auf Gangsterjagd? Ich werde deshalb jedenfalls nicht in Mathe zu spät kommen, viel Spaß noch.“ Ich würdige sie keines Blickes, denn ich kenne sie besser als ihr lieb ist, und tatsächlich, keine zehn Sekunden später steht sie neben mir an der Kellertür und inspiziert, was Hermine da gefunden hat. „Ist das eklig“, keucht sie angewidert. Es ist wirklich kein schöner Anblick: Zwischen zetretenen, matschigen Überresten irgendwelcher Insekten winden sich weißliche Würmer am Boden, die Hermine lustvoll mit der Pfote hin- und herschubst.

Schnell erzähle ich Lili, was ich letzte Nacht beobachtet habe. Sie zieht die Augenbrauen zusammen: „Das ist tatsächlich verdächtig. Vielleicht verbirgt sich da drin ein Geheimlabor von irgendeinem verrückten Professor?“

Diesmal verdrehe ich die Augen. „Was soll man schon mit Würmern experimentieren?“

„Na ja, Monstermaden, die ansteckende Krankheiten verbreiten. Oder Stechmücken, die verschlüsselte Informationen in die Blutbahn schleußen können oder so etwas. Geheimwaffen eben.“

Manchmal erstaunt mich Lili, normalerweise habe ich solche Ideen, nicht sie. „Dann ist ja wohl klar, dass wir hier ermitteln müssen“, verkünde ich begeistert und hole eine meiner Plastiktüten mit Zippverschluss aus der Tasche, denn als wahrer Detektiv trage ich immer eine Grundausrüstung bei mir.

Die Vorstellung, den Rest des Schultags mit Resten von zermatschten Gliederfüßern in der Jacke zu verbringen, widerstrebt mir allerdings, und so deponiere ich die Beweisstücke in einer Mauerritze neben der Tür.

Nach der Schule gehen wir gleich noch einmal am Keller vorbei und versuchen, durch die Gitter der Kellerfenster zu schauen. Doch die Scheiben sind von innen mit schwarzem Karton abgeklebt, und wir erkennen nichts weiter als ein weißliches Licht, dass durch die Ritzen nach außen dringt. Ich drücke das Ohr an die Tür.

„Da drinnen summt und blubbert was“, flüstere ich Lili zu. Sie schiebt mich beiseite und presst sich ebenfalls an die Tür, Geduld war noch nie ihre Stärke.

„Ich sags ja.“ Sie hebt wichtigtuerisch den Zeigefinger. „Das sind die Maschinen, die dieser Verrückte für seine Experimente braucht. Die laufen bestimmt Tag und Nacht, auch wenn er weg ist.“

„Da müssen wir wohl observieren“, entscheide ich, doch mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. „Bloß wie machen wir das am Besten?“

„Ist doch klar!“ Lili ist jetzt nicht mehr zu bremsen. „Hier im Gebüsch können wir ihn heute Nacht abpassen.“

„Meinst du nicht, eine Überwachung mit dem Fernglas reicht aus?“ Mir rutscht das Herz in die Hose.

Lili schüttelt entschieden den Kopf. „Wie willst du denn im Dunkeln was erkennen aus der Entfernung? Wir gehen direkt auf Zielobjekt los, und dann können wir, wenn wir Glück haben, auch noch einen Blick in den Keller werfen, wenn er die Tür aufschließt.“

Ich bin immer noch nicht überzeugt. „Und wenn er gar nicht kommt?“

„Dann müssen wir eben noch eine Nacht dranhängen“, beschließt Lili, und ich frage mich, wer hier der Detektiv ist und wer die Assistentin. Aber ich sage nichts, sonst muss ich mir wieder blöde Sprüche anhören, von wegen ich sei ja so ein Angeber und ein Feigling dazu.

Am Nachmittag benehmen sich Lili und ich wie die Engelchen, einträchtig machen wir Hausaufgaben am Küchentisch, hören uns Oma Annelieses Vorträge über die Bedeutung des Übens und Wiederholens an und decken sogar den Tisch fürs Abendessen ohne zu murren. Und die Rechnung geht auf, Oma Anneliese zieht sich in bester Laune zu einem Opern-Marathon ins Wohnzimmer zurück. Glücklicherweise singt sie nicht selbst, sondern schmeißt nur unseren alten Plattenspieler an, in jedem Fall ist sie aber für den Rest des Abends wie hypnotisiert. Lili und ich schauen uns wortlos an und werfen unsere Anoraks über. Ich denke an Rudi, der in meiner Geschichte gerade von Zombie-Ratten verfolgt wird und nur durch die Hilfe eines Voodoo-Meisters überlebt. Ich stecke schnell noch das Amulett ein, das mir Onkel Theobald aus seinem Kenia-Urlaub mitgebracht hat.

Dann schleichen wir aus dem Haus, dicht gefolgt von Henriette, die uns nicht von der Seite weicht.

Das Gebüsch ist stachelig, der Boden voller Laub und matschigem Ich-weiß-nicht-was und ich zittere am ganzen Körper. Natürlich nur vor Kälte, ist ja klar.

Lili und ich drücken uns an die Hauswand und warten. Nach einer halben Ewigkeit höre ich wieder das Grollen, das mich schon gestern abend aufgeschreckt hat. Es kommt näher und näher bis es schließlich direkt vor uns ist und mit einem letzten Aufheulen verstummt. Dann hören wir Gerumpel und Geraschel und sehen eine gebeugte Gestalt zur Tür hin schlurfen. Auch heute trägt der Kerl wieder eine schwere Kiste. Als er sie keuchend vor der Tür absetzt, kann man lange stränige Haare erkennen, die ein bleiches, eingefallenes Gesicht umrahmen.

Der Typ trägt eine schwarze Lederjacke mit Nieten auf dem Rücken und sieht aus wie ein untoter Motorrad-Gangster. Ich umklammere mein Amulett, doch es hilft nichts. Sobald die Kiste am Boden ist, stürmt Henriette wie eine verrückt gewordene Kampfkatze aus unserem Versteck und fällt über die Kiste her.

„Blödes Biest“, zischt eine heisere Stimme, und gleich darauf fliegt Henriette in hohem Bogen zurück ins Gebüsch.

„Er hat sie getreten!“ Lilis stimme überschlägt sich vor Empörung. Bevor ich sie aufhalten kann, stürzt sie aus dem Gebüsch und sieht nicht weniger durchgeknallt und kampfeslustig aus als Henriette gerade eben.

„Sie Tierquäler, ich werde es Ihnen zeigen, wie weh das tut. So!“ und sie staucht dem Typen volle Kanne ins Schienbein. Vor meinem inneren Auge trifft Lili nun ein Strahl aus roten Monsteraugen und sie zerfällt zu Staub. Doch als ich den Mut habe hinzuschauen, sehe ich nur einen Typen in Lederjacke, der fluchend auf einem Bein hüpft und dabei versucht sein Schienbein zu umklammern. Daneben steht Lili, die Hände in die Hüften gestemmt, und wenn jemand einen Monsterblick drauf hat in diesem Moment, dann ist sie es.

Bei dem ganzen Durcheinander ist die Kiste umgekippt, und jede Menge kleines Getier krabbelt und kriecht über den Boden. Als der Kerl das sieht, hört er sofort auf, mit der Herumhüpferei. Er bückt sich herunter und beginnt, die ganzen Kriechtiere wieder einzusammeln, dabei flucht er noch lauter als zuvor.

„Hilf mir gefälligst“, schnauzt er Lili an, „das ist schließlich alles deine Schuld.“

Lili versucht wegzurennen, doch der Kerl schnappt sie am Arm.

„Nicht mit mir. Erst große Klappe und dann abhauen, das könnte dir so passen!“

Eigentlich bin ich ja fein raus in meinem Versteck. Doch als Lili mir einen hilfesuchenden Blick zuwirft, bekomme ich doch ein blödes Gefühl dabei, einfach im Gebüsch sitzen zu bleiben. Rudi hätte niemals seine Gefährten im Stich gelassen, das ist mal sicher.

Ich stecke mein Amulett vorne unters T-Shirt und komme zögernd näher.

„So, da haben wir ja noch einen“, knurrt der Typ. Schweigend beginne ich, mit ihm zusammen das Gewürm aufzusammeln und in die Plastikboxen zurückzuwerfen, die in der Kiste sind. Lili steht daneben und schaut zu. Sie sieht mit einem Mal ein bisschen jämmerlich aus, keine Spur mehr von der Kampfpose von vorhin.

Doch während ich mal wieder die Drecksarbeit für sie erledige, kommt sie von Neuem auf Touren.

„Was machen Sie eigentlich mit dem ganzen Zeug?“, fragt sie den Lederjacken-Zombie grade heraus.

„Willst du es wirklich wissen?“, fragt der zurück, und seine Stimme hat einen lauernden Unterton. Dann lacht er plötzlich und sieht gar nicht mehr so gefährlich aus, sondern fast ein bisschen verlegen.

„Kommt rein“, sagt er, dreht den Schlüssel um und stößt die Kellertür weit auf.

Nun wäre der beste Moment, um die Flucht vorzubereiten, denke ich. Doch dann werfe ich einen kurzen Blick in den Keller und bin völlig hin und weg: Der ganze große Raum ist voll von Terrarien und Aquarien. Bunte Fische in allen Farben schillern mir entgegen, und im Licht der Tageslichtlampen räkeln sich Gekkos und Bartagamen und jede Menge anderer Reptilien, die ich noch nie gesehen habe.

„Wow“, entfährt es mir, und der Lederjacken-Kerl klopft mir auf die Schulter.

„Freut mich, dass du sie auch magst“, sagt er, und seine Stimme klingt ganz weich. Ich vergesse alle Angst, schüttle Lilis Hand auf meinem Arm ab und gehe auf eines der großen Aquarien zu. Zwischen den Wasserpflanzen ziehen nicht nur Fischschwärme ihre Kreise, sondern am Boden auf dem Kies kringelt sich sogar eine lange, schwarzblaue Schlange.

Ich gehe näher hin.

„Ich wusste gar nicht, dass man Wasserschlangen im Aquarium halten kann.“

„Genau genommen ist das keine Schlange, die Schwimmwühle gehört zur Familie der Blindwühlen oder Schleichenlurche.“ Der Typ hat seine Motorradjacke ausgezogen und sieht auf einmal gar nicht mehr gefährlich aus, sondern einfach wie ein großer Junge mit einem ganz besonderen Hobby.

„Fressen die Wühlen nicht die Fische auf?“

„I wo, die sehen ja gar nichts. Wenn an denen ein Fisch vorbei schwimmt, stoßen sie sich eher die Nase an als dass sie ihn fressen.“

„Und warum verhungern die dann nicht?“

Der Kerl holt eine Plastikbox mit winzigen fadenartigen Würmern aus seiner Kiste und wirft ein paar davon ins Becken. Sobald die Würmer am Boden angekommen sind, bewegt sich die Schlange flink darauf zu und beginnt, sie zu verschlingen.

„Sie haben einen guten Geruchssinn“, sagt er, und man merkt ihm das Vergnügen an, dass er sein Wissen teilen kann. In freier Wildbahn sind sie wahrscheinlich Aasfresser, aber das ist noch gar nicht genau erforscht.“

Lili hat sich offensichtlich wieder erholt.

„Wie heißen Sie überhaupt“, höre ich ihre forsche Stimme hinter mir, „und warum verstecken Sie das ganze Zeug im Keller?“

Mit einem Mal wirkt der Typ wieder so zombiehaft wie vorher, das ganze Strahlen ist aus seinem Gesicht verschwunden. Selbst Lili scheint das zu merken. Einlenkend sagt sie:

„Ich bin Lili, und das ist mein Zwillingsbruder Fred, und wir wollten einfach wissen, was Sie da so treiben in Ihrem Keller.“

„Na gut.“ Der Typ atmet tief durch. „Ich bin Theo. Und weil ich immer noch bei meiner Mutter wohne und die das Viechzeug nicht leiden kann, hab ich diesen Keller hier angemietet.“ Nach einer kleinen Pause setzt er hinzu: „Das ist mein Geheimnis, und wenn meine Kumpels das mitbekommen, halten sie mich für den letzten Nerd. Ihr seid die einzigen, die davon wissen.“

„Wir verraten nichts, das schwöre ich“, höre ich mich sagen. „Und ich finde das alles echt toll!“

Theo klopft mir auf die Schulter.

„Du kannst gerne abends vorbeikommen und mir helfen, wenn du magst“, sagt er. Dann zeige ich dir auch meine richtige Wasserschlange, eine Erpeton Tentaculatum. Und meine Vogelspinnen.

„Aber unsere Katze lässt du ab jetzt in Ruhe“, sagt Lili grimmig, und Theo entgegnet:

„Als ich zehn war, hat unsere Katze meinen ersten Goldfisch gefressen. Auf Katzen bin ich nicht so gut zu sprechen. Aber ich verspreche dir, ich werde sie nur noch anschreien, nicht mehr treten, okay?“

Nun ist auch Lili zufrieden. Als wir nach Hause kommen, steht Oma Anneliese in der Tür, und ihr anklagender Blick lässt nichts Gutes erwarten. Offensichtlich ist sie doch früher aus ihrer Opern-Trance erwacht als wir erwartet hatten. Doch als ich ihr schnell ein Referat über Schwimmwühlen und die Forschungsdefizite in der Aquaristik halte, ist ihr Lehrerinnen-Herz versöhnt.

„Morgen komme ich wieder mit“, flüstert Lili mir zu, bevor wir ins Bett gehen. „Aber ich gebe nur das Trockenfutter, für das Getier bist du zuständig.“

„Abgemacht“, flüstere ich zurück, und ausnahmsweise gehen wir schlafen, ohne uns ein einziges Mal wirklich gestritten zu haben.

 

 

Fred und Lili und das Hotel des Schreckens

 

von Franziska Hochwald

 

Ich weiß ja, man soll nicht im Gehen lesen. Aber wenn Rudi Renner gerade kurz davor ist, diesen unglaublichen Fall anzunehmen, muss ich doch wissen wie es weitergeht. Wird er wirklich in die Schlucht der Düsternis reisen und das Geheimnis des verschwundenen Kleinods lüften? Und den Weg von der Schule nach Hause finde ich sowieso im Schlaf, auch mit einem Buch vor dem Gesicht.

Blöd nur, dass ich nicht mit beweglichen Hindernissen gerechnet habe. Ich stoße gegen etwas Weiches und komme zielgenau mit dem Knie auf der obersten Treppenstufe auf. Die Hose ist wohl hin, mein Knie glüht wie Feuer. Doch Oma Anneliese ignoriert das völlig, sie ist in Festlaune.

„Kinder, heute geht es los! Ein bisschen Kultur hat noch keinem geschadet.“

Ich nicke ergeben, auch wenn ich keine Ahnung habe, worum es geht. Doch Lili, die nun auch von der Schule zurück ist, will es genau wissen:

„Was soll das werden, Oma? Ich versteh gar nichts.“

Oma Anneliese jubiliert. „Das musst du auch nicht, mein Schatz. Lass dich einfach überraschen.“

 

Widerrede ist zwecklos, und so stehen meine Zwillingsschwester Lili und ich am Nachmittag schon startbereit vor dem Haus, als Oma Anneliese mit ihrem alten Mazda vorgefahren kommt. Sie winkt uns schon durchs Autofenster wild entgegen und kann ihr Geheimnis nun nicht mehr für sich behalten. „Bad Wildbach! Rossini!! Opernfestival des Jahres, wir ko-ho-hommen!!!“

 

Lili und ich völlig begeistert. So ein Wochenende im Hotel haben wir noch nie gemacht. Doch als wir Oma Anneliese nach den Details fragen, hält sie sich ziemlich bedeckt:

„Das war so ein Pauschalangebot.“ Sie räuspert sich und schaut angestrengt nach vorne. „Sehr günstig. Und bestimmt unglaublich nett.“

Wir fahren immer tiefer in den Schwarzwald, bis uns schließlich die Navi vor einem mehrstöckigen Betonklotz mitteilt: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Mir ist schlecht, weil mir Lesen im Auto nicht bekommt, und dieser Ort verbessert meinen Zustand nicht gerade. Bad Wildbach liegt in einem engen, steilen Tal. Links und rechts ragen düstere Tannen empor, so als würden sie vergeblich versuchen etwas Sonnenlicht zu ergattern. Ich weiß nicht, wie düster das Tal der Düsternis von Rudi ist, aber sicher nicht dunkler als das hier.

 

Wir helfen Oma Anneliese, ihre drei Koffer sowie diverse Hutschachteln an die Rezeption zu schleppen. „Rossini“, erklärt sie entschuldigend, „bei so einem Opern-Festival muss man schon was hermachen.“

Hinter der Rezeption steht ein ein seltsames Geschöpf und betrachtet eingehend seine Fingernägel. Es ist so dick, dass man nicht sicher sein kann, ob Mann oder Frau, hat eine hohe Fistelstimme und trägt einen grellgrünen Fleecepullover. Ganz unauffällig husche ich zur seitlichen Schwingtür und schiebe sie ein kleines Stück auf. Das beste Indiz sind immer die Schuhe – und tatsächlich, trotz der beträchtlichen Oberweite meines Gegenübers, bei schwarzen flachen Lackschuhen zur Anzugshose tippe ich dann doch eher auf männlich.

Als Oma Anneliese in ihrem typischen Stechschritt auf die Theke zumarschiert, hat es fast den Anschein, als wolle er sich dahinter wegducken, doch dann scheint er es sich anders zu überlegen und lässt den Schwall von Omas Fragen über sich ergehen.

„Bademantel?“ Er windet sich verlegen. „Ham wir derzeit leider nicht. Und Teekocher auf dem Zimmer? Das tut mir wirklich Leid, das ist im Moment nicht möglich. Ich würd sagen, bestellen Sie doch einfach einen Tee an der Bar.“

Oma Anneliese versucht, Lili und mich Richtung Aufzug zu bugsieren, aber eigentlich müsste sie meine Schwester besser kennen. Sie schiebt sich zurück an den Tresen: „Ich dachte das sei ein Pauschalangebot mit Extras im Preis inbegriffen und so?“

„Ganze genau, junge Dame.“ das Lächeln über dem Fleecepulli wird eisig. „Wie im Pauschalangebot beschrieben, sehen Sie, da unten das Kleingedruckte, da steht: „soweit vorrätig und möglich, wir bitten um telefonische Vorreservierung.“

„Dann sollte das wohl eher Eventualangebot heißen, denke ich.“ Lili bleibt hartnäckig stehen.

„Die Formulierung des Angebots verantwortet unsere Partnerfirma ‚Hopp und Weg online’. Sie entschuldigen mich.“

Und fort ist er, ab durch die Schwingtür ins Hinterzimmer.

 

Wir kämpfen uns mit Oma Annelieses Gepäck zum Aufzug, müssen zwei Mal fahren, bis alles oben ist, und besichtigen die Zimmer. Unseres ist so eng, dass wir über unsere Taschen hüpfen müssen, um ins Bett zu kommen. Es gibt eine Elektroheizung, die halb von der Wand hängt und leider außer Betrieb ist, daneben steht ein Heizofen, der schon bessere Tage gesehen hat. Die Tapeten zeigen alle Farben auf einer Palette zwischen grau und beige, und das billige Raumdeo verdeckt den Tabakgestank kaum.

 

Da nehme ich mein Buch doch lieber mit in den Gastraum – immerhin geht es Rudi nicht besser, denn aus dem Boden im Tal der Finsternis steigen gerade gefährliche Dämpfe auf, die ihn in Lebensgefahr bringen.

Doch jetzt ist schon Zeit für das Abendessen, und deshalb habe ich leider keine Ruhe, weiterzulesen. Noch bevor ich mich richtig hingesetzt habe, knallt die Bedienung ein Tellerschnitzel vor Lili und mir auf den Tisch. Oma Anneliese bekommt einen großen Teller mit verschiedenen Häufchen aus undefinierbarem Zeugs darauf. Sie lächelt uns aufmunternd an, oder vielleicht doch eher entschuldigend?

„Menu Rossini für mich, und für euch der Kinderteller, alles im Pauschalangebot mit drin. Wirklich ein echtes Schnäppchen!“
Gerade will ich Messer und Gabel in die Hand nehmen, da beugt sich ein Herr mit Frack und Fliege über unseren Tisch. Er streicht sein volles weißes Haar zurück und lächelt Oma Anneliese an.

„Gnä Frau!“

Ich finde ihn ziemlich aufdringlich. Er stützt sich auf meiner Schulter ab, als wäre ich ein Möbelstück.

„Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen!“

Oma Anneliese wirkt sie, völlig verdutzt.

„Ich wüsste nicht…“, beginnt sie, doch er unterbricht sie sofort.

„Selbstredend erinnern Sie sich nicht an mich, eine Dame Ihres Formats, doch schon im letzten Jahr zählte ich zu ihren heimlichen Bewunderern. Ich darf mich vorstellen: Ernst Scheu, leidenschaftlicher Opernfreund“

Der Fremde setzt sich neben mich an unseren Tisch. Ich erinnere mich nicht, dass er dazu aufgefordert wurde, aber Oma Anneliese wirkt hingerissen.

Er riecht nach Eau de Toilette, und was mich wundert ist, dass feine rote Haare an seinem Ärmel kleben. Das passt nicht so ganz zu so einem vornehmen Pinkel. Genauso wenig wie sein Name. Der Mann ist weder ernst noch scheu, wie er sich da an Oma drandrückt und ihr schmierige Komplimente macht.

Lili und ich schauen uns wortlos an und nagen an unseren zähen Schnitzeln. Und als wir Oma Annelieses Augenaufschlag überhaupt nicht mehr ertragen, schleichen wir uns davon und begutachten das Hotel.

Im Kellergeschoss lesen wir ein goldenes Schild „Wellnessbereich“, und gleich daneben „Tiefgarage“. Im Wellnessbereich riecht es feucht und muffig, und wir entscheiden uns dafür, lieber die Tiefgarage zu erkunden. Die Parkplätze sind nun fast alle belegt, und gleich neben Oma Annelieses Mazda parkt ein Opel Astra in Orange. Lili rennt sofort hin:

„Cool, ein echter Oldtimer!“ Ich würde eher sagen, ein Fall für den Schrottplatz. Aber als wir ins Innere des Wagens schauen, entdecken wir, dass auf dem Rücksitz ein Katzenhäuschen steht, aus dem uns ein langhaariges, orangefarbenes Stück Pelz entgegenleuchtet.

Ich boxe Lili gegen die Schulter: „Der Wagen gehört Omas Verehrer!“

„Aua! Woher willst du denn das schon wieder wissen.“

Ich kassiere den unvermeidlichen Boxschlag zurück, aber ein Detektiv muss auch lernen Schmerzen wegzustecken. Ich erzähle Lili von den Haaren auf den Jackett.

„Der Mann muss die Oper aber schon sehr lieben, wenn er dafür seine Katze in der Tiefgarage parkt.“

Wir sind uns einig: Das ist das echte Tierquälerei und wir müssen sofort eine Rettungsaktion starten.

Wir rennen zurück in die Empfangshalle. Dort ist nicht viel Hilfe zu erwarten, denn wieder finden wir dort nur den seltsamen Hilfskellner vor, der gerade die Hoteltür aufreißt und sich auf zwei Neuankömmlinge stürzt.

Lili stupst mich an:

„Guck mal, da schauen Hosenträger unter dem Pulli vor!“

„Wahrscheinlich ist das Karlsson vom Dach, aber wo ist dann sein Propeller?“, flüstere ich ihr zu. Als sie auf den riesigen Ventilator an der Decke weist, prusten wir beide los vor Lachen.

„Wo haben Sie denn dieses Jahr ihre entzückenden Kinder gelassen?“ hören wir Karlsson in Grün sagen. Das Ehepaar schaut irritiert. Ein unangenehmes Schweigen breitet sich in der Hotellobby aus bis schließlich der Mann sagt: „Das muss ein Irrtum sein, wir haben leider keine Kinder.“

„Oh, das macht gar nichts“, flötet der Dicke. „Sie sind trotzdem herzlich willkommen.“

Lili und ich schauen uns an. Ob wir irgendjemanden benachrichtigen sollen, dass da ein Verrückter im Haus ist? Jetzt haben wir schon zwei Gründe, den Hotelchef zu finden. Wir streifen weiter durch die Gänge. Ein muffiger Geruch steigt aus den verschlissenen Teppichböden auf. Plötzlich hören wir lautes Geschrei vom Ende des Ganges her und rennen los. Als wir im Speiseraum ankommen, ist Oma Anneliese verschwunden. Dafür hat sich ein Menschenauflauf gebildet, in dessen Mitte eine andere alte Dame steht und lauthals schreit:

„Diebe, Verbrecher, Polizei!“

Oma Annelieses neuer Verehrer hat den Arm um sie gelegt und tätschelt ihr beruhigend die Hand. Plötzlich werden wir unsanft zur Seite gestoßen. Karlsson vom Dach stürmt in den Speisesaal. Er hat ein zeltartiges Jackett über seinen grünen Fleecepulli geworfen.

„So beruhigen Sie sich doch, meine Damen und Herren“, ruft er händeringend, „so beruhigen Sie sich doch! Es wird sich sicher alles aufklären!“

Die Dame denkt gar nicht daran, sich zu beruhigen. „Mein Schmuck, meine Handtasche, alles weg!“ Sie schnauft besorgniserregend, und ich frage mich, ob ein Arzt jetzt nicht wichtiger wäre als der Schmuck.

Plötzlich holt sie tief Luft und zischt: „Das war bestimmt diese Dame, die vorhin den galanten Herrn an meiner Seite belästigt hat.“

Wir sind fassungslos. Unsere Oma Anneliese eine Verbrecherin? Das ist ja wohl eine fiese Unterstellung. Doch Lili und ich können nichts tun, denn nun pflichtet ihr sogar der weißhaarige Herr bei:

„Das kann sehr gut sein, meine Liebe. Mir ist sie auch schon verdächtig vorgekommen.“ Rudi würde nun zu einer flammenden Verteidigungsrede anheben. Doch bevor ich darüber nachdenken kann, sieht die schnaufende Dame Lili und mich in der Tür stehen und setzt nach: „Genau die, die Alte mit den beiden Bälgern da im Schlepptau, das muss die Diebin sein! Sie ist bestimmt schon entkommen. Fangt die Kinder!“

Ich renne los, hinter mir die wilde Jagd der Hotelgäste. Im Zickzack haste ich durch die Gänge bis ich hinter einer Ecke eine Tür sehe, über der ein grünes Notausgang-Schild leuchtet. Gerade noch schaffe ich es, durchzuschlüpfen, als ich die Meute der rachelüsternen Hotelgäste vorbeirasen höre. Aber wo ist Lili?

Ich schleiche das düstere Treppenhaus hinunter. Es führt zu einer schweren Metalltür, und die geht direkt dahin, von wo wir vorhin kamen: In die Tiefgarage. Das scheint mir im Moment der sicherste Ort zu sein. Und ich nutze die Gelegenheit, noch einmal nach der roten Katze zu schauen.

Ich schlängele mich zwischen den Autos durch und sehe, dass Lili mir zuvor gekommen ist. Sie kauert bereits vor der Fahrertür und macht sich am Schloss zu schaffen.

„Spinnst du?“ Ich versuche, Lili vom Auto weg zu zerren, doch sie lacht nur.

„Was hast du denn? In dem Chaos da oben habe ich diesen Opel-Schlüssel auf einem der Tische liegen sehen, und da dachte ich mir, das ist die ideale Gelegenheit!“

Lili steckt den Schlüssel ins Schloss – und tatsächlich, er passt. Wir öffnen die Tür, kriechen hinein und versuchen, die Katze aus ihrem Versteck zu locken. Doch das dicke rote Viech scheint nur wenig Interesse an uns zu haben und bewegt sich keinen Zentimeter.

Lili ist sofort voller Mitleid. „Du Armer“, murmelt sie beschwichtigend, „du bist ja ganz verschüchtert. Warte, wir holen dich hier raus.

Wir steigen beide ein und setzen uns auf den Rücksitz. Vorsichtig fasse ich in die Öffnung des Katzenhäuschens.

„Autsch!“ – Als ich meine Hand wieder herausziehe, kann ich eine tiefe Biss-Spur begutachten, und daneben ein paar blutige Kratzer.

„Verschüchtert ist was anderes“, maule ich, „das sitzt ein echter Teufel da drin.“

„O-o“, sagt Lili auf einmal, jetzt haben wir andere Sorgen. und da sehe ich es auch. Die Tür zur Tiefgarage hat sich geöffnet, und hindurch stürmt die wilde Jagd der Hotelgäste, angeführt von unserem guten Bekannten, dem feinen älteren Herrn mit schlohweißem Haar. Die Meute verteilt sich zwischen den Autos, und es dauert nur wenige Minuten, bis sie uns in dem alten Opel entdeckt haben.

Dann geht alles ganz schnell. Der feine Herr reißt die Wagentür auf und lässt sich auf den Rücksitz fallen, um uns zu packen. Lili drückt sich an mich und wirft dabei das Katzenhäuschen um. Das bringt das wilde kleine Raubtier sofort in Rage. Es rast wie ein roter Blitz aus seiner Höhle und tobt durch den Innenraum des Wagens. Als erstes bekommt der Kampfkater das volle weiße Haar seines Besitzers zu fassen, seine Krallen bleiben hängen und nach wenigen Sekunden hat er das Gesicht des feinen Herrn übel zugerichtet.

Wir nutzen den Moment, flüchten aus dem Auto und schlagen schnell die Tür hinter uns zu.

Als wir das wilde Treiben im Wagen aus sicherer Entfernung beobachten, sehen wir das Unfassbare: Der Kater war die Wache für ein riesiges Diebesversteck. Unter dem umgekippten Katzenhäuschen glitzert jetzt ein ganzer Haufen von Handtaschen, Perlenketten, Ringen und anderen Schmuckstücken im fahlen Neonlicht der Tiefgarage.

 

Nun hat es auch der Katzenmann bemerkt. Er schafft es, den Kater loszuwerden, reißt die Wagentür auf und flüchtet. Dabei macht er keinen besonders feinen Eindruck mehr, zerkratzt und zerbissen wie er ist. Im Handumdrehen windet er sich im Slalom zwischen den anderen durch und rast auf den Ausgang zu, gefolgt von der Meute der Hotelgäste. Sie verschwinden nach draußen und man hört den Tumult in der Ferne immer leiser werden.

Lili und ich trotten nach oben, völlig erschöpft von diesem Abenteuer.

„Das war knapp“, sagt Lili.

Ich nicke. „Ich wette, Rudi hätte das besser unter Kontrolle gehabt.“

„Du immer mit deinem Rudi, sei lieber froh, dass wir da noch einmal heil rausgekommen sind.“

Ich muss grinsen, als ich mir die aufgeregten Hotelgäste vorstelle, wie sie durch das Tal der Düsternis galoppieren, auf der Jagd nach dem Juwelendieb.

Oben in der Eingangshalle des Hotels steht Oma Anneliese in allerbester Opernlaune.

Sie trägt ein fliederfarbenes Kostüm, und dazu einen passenden Hut, der über und über mit fliederfarbenen Wedeln besetzt ist so dass sie aussieht wie ein Frühlingsbusch.

„Da seid ihr ja“, jubiliert sie, „los geht’s!“

Lili schaut sie ungläubig an. „Sag mal, Oma Anneliese, hast du gar nichts mitbekommen?“

Die zieht die Stirn kraus. „Was meinst du, mein Schatz? Ich war oben, mich kurz hinlegen und dann etwas fein machen für den großen Moment. Für die diebische Elster.“

Ich lache. „Na, so kann man deinen neuen Verehrer wohl auch nennen.“

Oma schaut verdutzt. „Wie meinst du das? Wo steckt der Gute überhaupt? Ich spreche von der diebischen Elster von Rossini, la gazza ladra. Ab in die Oper ihr zwei Banausen.“

Ich widerspreche: „Aber wir müssen dir unbedingt erzählen, dein Verehrer von vorhin…“

„Wo auch immer er steckt, ich glaube sowieso nicht mehr an Romantik und all das Zeug“, unterbricht mich Oma Annelise. „Nichts kann wichtiger sein als die schönen Künste.“

Ich zögere. „Und was wird jetzt aus dem roten Kater?“ Lili grinst.

„Zumindest der ist jetzt wohl im siebten Himmel, wenn man das bei Katzen so nennen kann“, sagt sie und schaut zur Treppe hinüber. Ich drehe mich um und sehen den dicken Hotelbesitzer die Stufen hinaufschnaufen. An seinen giftgrünen Pullover hält er zärtlich das orangerote Riesentier gedrückt. Farblich passen die beiden nicht gerade zusammen – aber alles andere stimmt, der dicke rote Kater schnurrt wie eine Nähmaschine, und der Hotelbesitzer schaut so verzückt, dass ich glaube, zumindest er hat gerade die Liebe seines Lebens gefunden.